3. Symptome & Folgen

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Symptome und Reaktionsweisen

Auch wenn Kinder und Jugendliche selten direkt und offen über Gewalterlebnisse und sexuellen Missbrauch sprechen, senden sie Signale, um auf ihre Not aufmerksam zu machen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass abgesehen von einigen körperlichen Anzeichen, die in der Schule (speziell im Turnunterricht) auffallen, die meisten Gewaltformen keine eindeutigen, äußerlich sichtbaren Spuren hinterlassen und Kinder sehr unterschiedliche Verhaltensweisen und Reaktionen auf Gewalt entwickeln.

Es gibt kein eindeutiges Gewaltsyndrom. Mögliche Hinweise sind durch das Alter des Kindes mitbestimmt. Jüngere Kinder im Vorschulalter leiden vor allem unter Ängsten, Albträumen und Entwicklungsstörungen. Später zeigen sich auch Schulprobleme und aggressives, hyperaktives sowie sexualisiertes oder distanzloses Verhalten. Manche Kinder wirken von außen vollkommen unauffällig und verbergen ihre innere Not. Im Jugendalter mehren sich depressive Symptome, Selbstverletzung, Essstörungen, Substanzmissbrauch und sozialer Rückzug.

In der Schule sind vor allem Auffälligkeiten im emotionalen und sozialen Verhalten gut beobachtbar. Lehrpersonen sollten daher vor allem plötzliche Verhaltensänderungen, starke Stimmungsschwankungen und verbale oder andere Hinweise besonders im Auge behalten und als Verdachtsmomente beobachten.

Folgende Symptome und Reaktionsweisen auf Gewalt (in unterschiedlicher Intensität und Kombination) kann man speziell im Schulbereich beobachten:

Sichtbare Hinweise: 
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körperliche Verletzungen und Gesundheitsschädigungen, die vor allem im Sportunterricht auffallen, wie blaue Flecken, abgebrochene Zähne, Abschürfungen, Brandwunden, Suchtverhalten, Hörverlust, Einnässen und Einkoten, Störungen im Essverhalten, Ohnmachtsanfälle, häufiges Kranksein oder unspezifische psychosomatische Beschwerden

Anzeichen im Leistungsbereich

  • Nachlassen von Konzentrations- und Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Ausdauer,
  • Schulleistungen verschlechtern sich rapid,
  • fanatisches Lernen für die Schule,
  • Störungen im Denk- und Wahrnehmungsvermögen,
  • plötzliche, nicht nachvollziehbare Aktivitätsveränderungen z. B. deutliche gesteigerter oder verminderter Antrieb
  • Fernbleiben vom Unterricht

Emotionale und soziale Verhaltensauffälligkeiten

  • unzureichende Ernährung, Kleidung, Körperpflege oder medizinische Betreuung,
  • Ängste, Angststörungen
  • unerklärliche und für das Kind ungewöhnliche Handlungsweisen oder Auffälligkeiten im Sozialverhalten, z. B. Aggressivität, Weglaufen oder Diebstähle,
  • sozialer Rückzug, Isolation, Flucht in eine Phantasiewelt,
  • Stimmungswechsel, z. B. übertriebene Heiterkeit, Depression oder Aggression,
  • sexualisiertes Verhalten, versteckte oder offene sexuelle, nicht altersgemäße Äußerungen und Gesten, übermäßiger Gebrauch von sexualisierten Witzen,
  • Rückschritte oder Verzögerung in der Entwicklung,
  • Angst vor körperlicher Berührung („freezing“) bzw. vermehrtes, unangemessenes Bedürfnis nach körperlicher Nähe
  • Zwänge, d. h. ständige Wiederholungen im Denken, Sprechen oder Handeln wie z. B. Waschzwang
Fehlendes Wissen Kinder können je nach Alter und Entwicklungsphase Gewalt und sexuelle Übergriffe häufig nicht als solche einordnen und verstehen und manchmal fehlen buchstäblich die Worte.
Verwirrung Missbrauch und Gewalt verwirren die Gefühle und schüren Zweifel an der eigenen Wahrnehmung. Heranwachsende werden manipuliert und können nicht mehr einschätzen, was normal ist, was sein darf und was nicht.
Geheimhaltungsdruck Kindern und Jugendlichen wird subtil oder mittels Drohungen weisgemacht, sie dürften nicht über die Geschehnisse sprechen. Durch diese „Vergeheimnisung“ erleben die Betroffenen Sprach-, Wehr- und Hilflosigkeit.
Angst Kinder und Jugendliche werden eingeschüchtert und befürchten oft schreckliche Konsequenzen, falls jemand von den Übergriffen erfährt.
Schuld und Scham Betroffene erleben Schuldzuweisungen und ihnen wird vermittelt, sie selbst hätten etwas falsch gemacht oder es ohnehin gewollt. Zudem schämen sie sich meist für das Erlebte.
Loyalitätskonflikt Da die Täterinnen/Täter zumeist aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld kommen, versuchen Kinder und Jugendliche, wichtige Bezugspersonen zu schützen, auch wenn sie durch sie verletzt wurden.
Ohnmacht Betroffene fühlen sich alleine und hilflos. Oft sind sie der Überzeugung, keiner würde ihnen glauben wollen oder helfen können.

 

Die Angst, das Gefühl der tiefen Erniedrigung, die Überzeugung von der eigenen Wertlosigkeit, Schuld- und Schamgefühle, ein gestörtes Empfinden des eigenen Körpers, eine starke Verunsicherung der eigenen Wahrnehmung und der eigenen Gefühle, der Eindruck der Verlassenheit und das zerbrochene Vertrauen (auch in die eigene Kompetenz) können das ganze Leben andauern. Einen guten Überblick dazu bieten vor allem die sogenannten ACE-Studien, die eindrucksvolle Daten zu den psychischen, sozialen und körperlichen Langzeitfolgen bis hin zur Lebenszeitverkürzung, nach Erleben sogenannter aversiver Kindheitserfahrungen zeigen.

Kinder (und später Erwachsene) verdrängen die Gewalterfahrungen häufig oder relativieren diese, womit sie sich und andere schützen. Manche Kinder unterdrücken das Geschehene so gut, dass sie sich nicht mehr daran erinnern können. Geheimhaltung und Verdrängung machen gezielte Interventionen und Maßnahmen zum Schutz der Kinder so besonders schwierig und heikel.

Die meisten Kinder und Jugendlichen unternehmen Versuche, das Erlebte jemandem anzuvertrauen. Kinder im Vorschulalter imitieren manchmal eindeutig sexuelle Handlungen, „plappern“ über seltsam anmutende Vorkommnisse, ältere Kinder und Jugendliche machen scheinbar „beiläufige“ Andeutungen (wie z. B.: „Ist es eigentlich verboten, wenn …?“, „Ich will nicht mehr zu XY gehen“, „Ein Freund hat mir erzählt, dass seine Eltern ihn schlagen.“, „Was ist eigentlich ein Kinderschutzzentrum?“ oder wenn ein Kind immer am Abend vor dem Turnunterricht Krankheitssymptome zeigt) auf die ihnen zugefügte Gewalt und prüfen dann die Reaktionen ihres Gegenübers. Sie „testen“ dabei genau, ob ihre Aussagen als glaubwürdig eingestuft werden und welche Menschen vertrauenswürdig sind. Oftmals sind es auch die Freundinnen und Freunde der Betroffenen, die vorsichtig Hinweise auf die benötigte Hilfe oder unangemessene Verhaltensweisen anderer liefern.

Kinder und Jugendliche werden in ihren Mitteilungsversuchen jedoch meist nicht ernst genommen und entmutigt. Fast immer brauchen sie mehrere Anläufe, bis sie jemanden finden, der oder die ihnen glaubt und hilft. Wenn Sie als pädagogische Fachkraft mit Ruhe und Besonnenheit auf solche Andeutungen reagieren, bringen Heranwachsende eher den Mut auf, sich Ihnen anzuvertrauen.

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